Skinshifting

April


Prolog

fernöstliche Weißheit

Die Füchsin huschte geschickt durch die Gasse mit den Mülleimern. In einem Satz sprang sie auf die Feuerleiter, und der Penner in der schmalen Straße konnte sich nur fragen, ob er wirklich einen roten Feuerschweif gesehen hatte. Akrobatisch kletterte das Tier hinauf bis zur Luxussuite des edelsten Hotels von Straelen. Tatsächlich konnte sie den Strand von hier sehen, und – wenn sie es sich nicht einbildete – auch das Rauschen der Wellen hören. Oben angekommen blickten die scharfsinnigen Augen durch die Panoramafenster in einen Raum, der halb von einem privaten kleinen Schwimmbecken geteilt wurde, bevor er in eine Ecke überging, die von einem großen Bett mit Seidenlaken eingenommen wurde. Die Füchsin brauchte nur wenige Momente, um das für sie offenstehende Fenster zu finden. Die dünnen Beine trugen sie elegant durch den engen Fensterschlitz. Die feinen Ohren zuckten und vernahmen das Geräusch von Wasser aus dem Badezimmer.
April sprang auf das Bett und räkelte sich. Während sich ihr Rücken durchdrückte und ihre Pfoten sich spreizten, zog sich ihr Pelz langsam in den Körper und ihre Gliedmaßen wurden länger und streckten sich. Derweil das rostrote Fell an ihrem Kopf zu einer geschmeidigen roten Haarpracht wuchs, zog sich ihre Schnauze ins Gesicht zurück und ihre Augen nahmen eine intensive grüne Färbung an. Bald lag das blasse, dünne Mädchen völlig nackt auf den seidigen Lacken. Dem Anschein nach störte es, sie nicht im geringsten unbekleidet zu sein, während sie auf jemanden wartete. Ihre Haut war von einigen akkuraten und wunderschön gezeichneten Tattoos geprägt. Doch unter keinem der Kunstwerke fand sich ein Gang-Tattoo. Zu ihrer eigenen Sicherheit trug die Spionin keine Zeichen der Zugehörigkeit.
April fühlte sich geehrt – sie hatte vor einer knappen Stunde eine Nachricht des Königs erhalten. Sofort hatte sie sich auf den Weg gemacht und das heutige Hotelzimmer aufgesucht. Raphael lud sie nie in seine Villa ein – wo immer sich diese befand. Sie trafen sich stets in anderen Hotelsuites, um sich zu „beraten“. Vermutlich hatte der König des Untergrunds ein neues Ziel für sie. Die letzten Tage hatte die Füchsin ihre Freiheit genossen, nachdem sie einen Verräter bei ihm abgeliefert hatte. Schon viele Tode trugen ihren Namen im Kleingeschriebenen. Doch nie hatte die zierliche kleine Frau selbst gemordet – die schmutzige Arbeit überließ sie den Männern. Ihre Weste war in der Menschen- und Wandlerwelt so weiß wie die eines Neugeborenen.

Raphael stand unter der Dusche im Bad und hatte die Augen geschlossen. Während das Wasser über seinen Körper glitt und er das Haar in seinem Gesicht kleben ließ, wirkte er durchaus entspannt. Seit dem Treffen mit Quinn waren einige Stunden vergangen und er hatte April eine Nachricht geschickt, dass sie bei ihm aufzuschlagen hatte.
Raphael war jemand, der ungern auf andere wartete. Da April sich allerdings ihre Zeit zu nehmen schien, hatte er sich kurzerhand unter die Dusche begeben. Als seine Sinne ihm dann sagten, dass eine Person in die Suite „eingedrungen“ war und ein leiser Warnton an seine Ohren drang, der vom System an seinen Standpunkt ausgesendet wurde, grinste er leicht. Er stellte das Wasser ab und trocknete sich nur etwas die Haare ab, ehe er sich ein Handtuch um die Hüfte band und das Bad verließ. Warum sich anziehen, wenn er ohnehin andere Absichten im Sinn hatte?
Als er sich in den Türrahmen zum Hauptraum lehnte, erschien ein schon beinahe wölfisches Grinsen auf seinen Zügen. Nur für den Bruchteil einer Sekunde war es zu sehen, und doch lag es fast schwer in der Luft. Seine grau-silbernen Augen lagen auf der nackten Rothaarigen. Er verbarg es nicht, wie er sie musterte und schmunzelte. Bislang galt allein Kain oder eben Miku – je nachdem wie man es sah -, das Privileg seiner intimeren Zuneigung.
April war ein gutes Spielzeug: gehorsam, wenn auch mit einem eigenen Kopf, aber das liebte Raphael an anderen, die Herausforderung. „Du hast dir Zeit gelassen!“ – mehr eine Feststellung als eine Frage. Noch hatte er die Arme vor der Brust verschränkt. Erst einen Herzschlag später stieß er sich vom Türrahmen ab und trat langsam auf die Rothaarige zu. Sie war eine Eroberung, die er nicht so schnell gehen lassen würde – auch wenn es immer ein Spiel mit dem Feuer war.