Pfotenhunger
Beinahe unsichtbar bewegte ich mich auf leisen Pfoten durch die Straßen. Dies musste ich auch, denn Hunde wie ich sind hier nicht erwünscht. Doch wer sind wir?
Wir sind Straßenhunde! Die Ratten von Rumänien. Immer auf der Suche nach Futter. Denn Hunger ist mein stetiger Begleiter!
Kennt ihr das? Wenn ihr so hungrig seid, dass sich euer Magen wie ein einziges hohles Loch anfühlt? Der stechende Bauchschmerz hat sich längst verabschiedet. Jetzt ist man nur noch leer, kämpft mit dem Schwindel. Das macht es nicht gerade leichter Futter zu finden. Am Liebsten würde ich zu den gut riechenden Mülltonnen an dem Haus um die Ecke gehen. Doch ich weiß, komme ich diesem Haus zu nahe, bekomme ich große Probleme. Hier herrscht Raupelz Rudel. Zu diesem gehöre ich nicht! Doch zu wem gehöre ich?
Ich gehöre zu niemandem mehr. Ich bin völlig allein. Verstoßen … gehasst … verjagt … und dennoch gebe ich nicht auf!
Mein Name ist Sammy. Sammy Blake. Doch diesen Namen würde ich erst viel später erhalten. Ich bin tiefer gelegter Golden Retriever, zumindest sagt Felix das heutzutage häufiger. Oft werde ich als Welpe verkannt. Ich liebe es, gestreichelt zu werden, und am allerliebsten bekomme ich Futter. Dafür mache ich alles.
»Außer an Plastiktüten vorbeizugehen!«, ruft Felix vom Sofa aus.
Das stimmt! Warum das so ist, erkläre ich euch gerne. Menschen verpacken die Reste ihres Essens in diesen durchsichtigen Plastikhäuten. Um heranzukommen, muss man zunächst die Haut durchbeißen. Erst dann kann man im Inneren nach Essbarem suchen. Während man jedoch sucht, raschelt die Tüte und behindert einen beim Lauschen! Gleichzeitig ist man bereits ein wenig überreizt durch die ständigen Signale an den eigenen Tasthaaren. Raschelt man zu laut, macht man die Menschen hellhörig. Sie werden wütend, wenn man ihnen ihr Futter stielt – auch wenn sie es nicht mehr haben wollen!
Mit dem Kopf in der Tüte kann man sie nicht richtig sehen. Bei einem Fluchtversuch passiert es zu dem schnell, dass man in der Tüte hängen bleibt und erst recht nichts mehr sieht. Kein Wunder, dass man anschließend Panik bekommt.
Jedes Mal sage ich mir, ich mache das nie wieder! Doch der Hunger besiegt letztendlich meinen Willen. Wieder einmal stehe ich an einer aufgebissenen Tüte und lecke gierig die darin versteckten Köstlichkeiten auf.
Eine Tür öffnet sich.
Jetzt muss ich schnell sein! Meine Nase ist voll von dem Essensgeruch. Ich merke nicht, dass die Gefahr größer ist als erwartet. Ich will noch so schnell wie möglich ein paar maulvoll fressen, bevor ich fliehe. Menschen sind nicht so schnell!
Noch bevor ich meinen Kopf aus der Tüte gezogen habe, trifft mich etwas Hartes. Ich jaule auf, schrecke zurück und bleibe in der Tüte hängen. Wieder trifft mich etwas. Ich muss hier weg! So schnell wie möglich!
Ich pralle mit voller Wucht gegen eine Mauer. Die Tüte hatte mir jegliche Sicht genommen. Der Mensch schreit und bewirft mich weiter mit Steinen.
Ohne etwas zu sehen, renne ich weiter, stolpere, falle hin, rappel mich auf und renne. Mein Körper schmerzt und meine linke Pfote will mich nicht mehr tragen. Doch ich habe keine Wahl, ich höre den Menschen immer noch schreien.
Ich hasse Tüten!