Gewinner der Buchverlosung


Herzlichen Glückwunsch

Herzlichen Glückwunsch an alle Gewinner meiner Buchverlosung.
Ich werde am Wochenende die Buchsendungen fertig machen. Ihr könnt also nächste Woche mit Post rechnen.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und nicht all zu viele Taschentücher.
Auf eure Rückmeldungen bin ich sehr gespannt ❤

Blick ins Buch

Ich darf nicht schreien

Ich war das Wunschkind. Während meine Brüder eher Unfälle waren, war ich das Kind, welches meine Eltern geplant und sich auch gewünscht haben. Ich kam genauso auf die Welt, wie sie es sich erhofft haben. Als mittleres Kind erinnere ich mich noch an Zeiten, in denen es nur mich und meinen älteren Bruder gab.
Da er nur zweieinhalb Jahre älter als ich war, hatten wir viele Gemeinsamkeiten. Wir spielten mit Autos, bastelten Loopingbahnen für diese oder kämpften mit Monster-Robotern gegeneinander. Ich spielte die meiste Zeit lieber mit den Spielsachen meines Bruders als mit meinen eigenen. Tatsächlich kann ich mich auch nicht daran erinnern, dass es dabei je Probleme gegeben hätte. Mein Bruder teilte gerne und auf Grund des geringen Altersunterschieds hatten wir häufig gemeinsame Interessen. Doch wie bei allen Geschwistern stritten auch wir.
Unsere Streitereien bezogen sich jedoch nicht nur auf gegenseitiges Anschreien, wir rauften uns stattdessen ziemlich heftig. Beißen, Treten, Boxen – ja, manchmal krachten wir als Kampfknäuel die Treppe herunter. Ratet, wer diese Kämpfe jedes Mal verlor! Ja, ihr liegt richtig. Ich verlor. Ich weiß nicht, ob es wirklich jedes Mal war oder ob ich mich nur so daran erinnere.
Zugegeben manchmal machten diese Raufereien auch eine Menge Spaß. Bis zu dem Moment, in dem ich nicht mehr atmen konnte oder die Schmerzen nicht mehr auszuhalten waren. In einem dieser Kämpfe landete ich auf dem Bauch und konnte mich nicht mehr aufrichten, weil mein Bruder mich auf dem Boden festpinnte. Wie sehr ich auch dagegen ankämpfte und mich wandte, ich konnte mich nicht befreien. Er biss mir in die Schulter und ich schrie nach meiner Mutter.
Ich schrie, dass ich aufgab – aber er machte weiter. Also schrie ich weiter nach meiner Mutter. Ich hatte einfach nur Schmerzen und bekam Panik. Ich dachte, ich bekäme keine Luft mehr, dabei konnte ich sehr wohl atmen, wenn man bedenkt, wie ich schrie.
Schließlich kam meine Mom endlich zu meiner Rettung und zog meinen Bruder von mir runter. Doch statt Erleichterung zu verspüren, bekam ich nur noch mehr Angst. Ich wusste doch: Ich darf nicht schreien!
Kennt ihr dieses Gefühl, wenn jemand auf euch zukommt, und ihr wisst ganz genau, derjenige ist kurz davor zu explodieren? Genau dieses Gefühl hatten wir damals wohl beide. Denn mein Bruder sagte nichts und verschwand still in seinem Zimmer. Nur einen Moment später wurde ich fest am Oberarm gepackt. So fest, dass es wehtat. Doch ich traute mich nicht mehr, irgendetwas zu sagen. Dabei hatte ich sogar Angst hinzufallen, während ich die zwei Treppen in den Keller herruntergeschleift wurde. Gleichzeitig liefen mir heiße Tränen übers Gesicht, weil ich nicht verstehen konnte, warum ich Ärger bekam, wenn mein Bruder doch derjenige war, der böse war. Dass wir beide viel zu weit gingen bei diesen Raufereien, ist mir erst heute bewusst. Damals jedoch kämpfte Wut und Angst gleichermaßen in mir. Denn ich war es, der durch die Feuerschutztür in den Heizungskeller geschubst wurde. Das Drehen des Schlüssels – zweimal – erklingt noch heute in meinen Ohren. Dann ging das Licht aus. Völlige Dunkelheit … Wut brannte meine Angst nieder. Ich schlug mit den Fäusten gegen die dicke Tür und schrie, dass mein Bruder mich geschlagen hatte und ich doch nur um Hilfe gerufen hatte. Ich hatte sie wirklich gebraucht! Ich hatte sie doch nicht stören wollen!
Ich weiß nicht, ob sie mich hören konnte. Doch ich schrie mir weiter die Lunge aus dem Hals. Aus dem wütenden Schreien wurde ein Betteln. Bitte! Ich wollte doch nur wieder raus. Ich würde nie wieder schreien. Ich hatte es verstanden. Ich wollte doch nur raus!
Der Heizungskeller hatte einen kleinen Gang. Links waren die Boiler, rechts waren Werkzeugschränke. Der Gang war einen Schritt breit und zwei Schritte lang. Dort stand ein Arbeitstisch. Meistens werkelte mein Vater hier an irgendetwas. Eines Tages, als ich wieder im Keller war, nutzte ich einen Hammer und einen Schraubenzieher. Ich war fest überzeugt, die Türe wieder aufzubekommen.
Den Schraubenzieher nutzte ich als eine Art Eispickel und versuchte, ein Loch in die Tür zu schlagen. Das Ende vom Lied war, dass ich die Tür nur mit vielen, kleinen, runden Dellen versah. Als meine Mutter dies bemerkte, bekam ich rechts und links eine gescheuert. Doch erstaunlicherweise durfte ich raus und in mein Zimmer. Kurz darauf erfuhr mein Vater von diesem Fluchtversuch. Er war LKW-Fahrer und fuhr damals weite Strecken, sodass er öfter wochenlang nicht zu Hause war. Er wusste nicht, dass meine Mutter mich einsperrte. Bei dem Streit erfuhr er, dass es eine einmalige Sache gewesen war und meine Mutter mich eingesperrt habe, da ich nicht zu kontrollieren wäre und sie mich nicht schlagen wolle. Sie hatte sich nicht anders zu helfen gewusst und nach ein paar Stunden im Keller wäre ich ja auch ruhig geworden. Sie würde es natürlich nie wieder tun. Aber man müsste mit mir zum Arzt gehen, denn ich wäre kein normales Kind.
Danach wurde es tatsächlich besser. Wenn ich eingesperrt wurde, dann war es in meinem eigenen Zimmer. Dort hatte ich Spielzeug, Licht und ein großes Fenster, bei dem ich mir jedes Mal ausmalte, wie ich da raus kletterte, um abzuhauen. Manchmal fragte ich mich, wie sehr es wehtun würde, wenn ich aus dem ersten Stock auf das Pflaster sprang. Würde ich mir ein Bein brechen? Wie sehr würde das wehtun? Würden unsere Nachbarn vielleicht für mich einen Rettungswagen rufen? Würde ich dann mit jemandem reden können, der mir glaubte?
Ich werde es bis heute nicht erfahren, denn ich kletterte zwar einmal über das Holzgitter an meinem bodentiefen Fenster. Doch ich traute, mich nie zu springen. Dabei war ein Teil meiner Angst: Was wenn ich sprang und ich verletzte mich nicht? Meine Mutter könnte mich erwischen und wie groß würde dann erst der Ärger sein? Nein, das wollte ich lieber nicht herausfinden. Damals hatte ich mich immer wieder gefragt, warum ich aus diesen Situationen nicht lernte? Ich hasste es, eingesperrt zu sein. Warum hörte ich nicht einfach auf zu schreien?
Später als ich aufgehört hatte laut zu werden, war es ein anderes Problem. An die Zimmertür meiner Mutter klopfen und nach etwas fragen oder Widerworte geben und frech werden, wenn man gerade angeschrien oder gemaßregelt wurde, führten immer wieder dazu, dass ich eingesperrt wurde. Manchmal reichte es schon, in der Nähe zu sein, wenn meine Mutter versehentlich etwas kaputt machte.
Vor allem den Mund zu halten war für mich immer wieder eine Herausforderung. Ich hasste mich so sehr dafür, dass ich nicht einfach schwieg. Egal, wie unfair ich etwas empfand, es hatte doch keinen Sinn. Es änderte nichts, nur dass ich wieder im Zimmer landete. Manchmal auch noch mit Tritten. Die Frustration und Wut gegenüber meiner eigenen Dummheit, ging so weit, dass ich mich selbst auch noch schlug, wenn ich wieder in meinem Zimmer hockte. Warum lernte ich also nicht daraus? War ich einfach nur dumm?
In diesem Zeitraum wurde ich auch mehrfach dem Kinderarzt vorgestellt. Ich weiß nicht genau, was meine Mutter ihm erzählte. Doch sie wollte wohl, dass mir Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung diagnostiziert wurde und ich Beruhigungsmittel bekam. Ich kann mich nur erinnern, dass es deshalb Streit zwischen meinen Eltern gab, da sich der Arzt absolut dagegen weigerte und immer wieder erklärte, dass ich kein ADHS hätte.


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