Sidestory
Kapitel 3
Naturalist
„
Fernab von menschlichen Vorurteilen und der Geschwindigkeit modernen Lebens, findest du dich selbst.
“
Zero
Zero sah den Arzt entschuldigend an, als er sein Zimmer betrat. «Es tut mir leid. Man hätte dich nicht beunruhigen müssen». Es klang etwas unbeholfen, wenn der Schwarzhaarige sprach. Seine Haare fielen ihm bis auf die Schulter. Abgesehen von einem langen, daumendicken Pferdeschwanz. Dieser zog sich an seiner Wirbelsäule entlang bis hinunter zu seiner Hüfte.
Zero wusste, dass man ihm anhörte, dass er nicht so oft sprach. Auch dass er des Öfteren deshalb als unhöflich galt – nur weil er die falschen Worte wählte. «Ich mag es nicht im Schlaf berührt zu werden. Ich weiß, die Schwester macht nur ihren Job, aber ich kann meine Reflexe im Schlaf nicht kontrollieren», entschuldigte er sich. Er war aus dem Tiefschlaf hochgeschreckt und hatte der Schwester beinahe die teilverwandelten Zähne in den Arm geschlagen. Stattdessen hatten seine Reißzähne ihre Haut nur ein wenig eingeritzt. Zum Glück war er rechtzeitig zu sich gekommen. Dort wo er lebte, schlich sich niemand an einen ran. Es sei denn, es war ein Feind.
Adam war überrascht, dass scheinbar kein Notfall vorlag, als er in das Patientenzimmer trat. Dennoch setzte er sich lächelnd. «Schon in Ordnung. Ich vermute, es ist nicht leicht, plötzlich mit so vielen Menschen auskommen zu müssen», schätzte er und betrachtete den Naturalisten. Dieser war leider nicht das erste Mal in der Klinik. Zero galt zu den Patienten der «Inneren». Das bedeutete, dass er als Psychologe und Psychiater eigentlich nicht für ihn zuständig war. Da Zero jedoch auf der privaten psychiatrischen Station war, um nicht von Menschen behandelt und entdeckt zu werden, kümmerte er sich im Notfall auch um diese Patienten.
Naturalisten suchten eher selten medizinische Hilfe auf. Zero war ein wenig anders. Soweit er wusste, arbeitete dieser mit dem Rebell, Canai, zusammen. Somit war er sich auch nicht sicher, ob er wirklich von einem menschlichen Jäger angeschossen worden war, wie es in seiner Anamnese hieß. Canai war einer der wenigen Wandler, der daran glaubte, dass ein friedliches Zusammenleben zwischen Menschen und Gestaltwandlern möglich war. Wer mit ihm zusammen arbeitete, verstieß gegen das oberstes Wandlergesetz. Adam war sich nicht sicher, ob man damit auf der Liste der Seeker stand. Sicherlich würden viele Wandler dagegen sein, dass ihr Machtsystem jemanden wie Zero zum Tode verurteilte. Sie lebten jedoch nicht in einer Demokratie. Wie auch? So gut waren sie nicht vernetzt. Deshalb war es durchaus möglich, dass der Naturalist gezielt angegriffen worden war.
«Ich bin Dr. Goodwyn. Ich werde lieber einmal zu oft als zu wenig gerufen und falls ich ihnen irgendwie helfen kann, bin ich gerne für sie da. Ich finde zum Beispiel, dass nichts dagegen spricht ein Schild an die Tür zuhängen, dass darauf hinweist sie vorher zu wecken. Zwar haben sie dann nicht so viel Erholung, aber weitere Unfälle wären verhindert. Sie ruhig zu stellen, fände ich in diesem Fall etwas übertrieben.», schlug er eine Lösung des Problems vor.
Der Naturalist nickte. Für ihn war es nicht leicht, hier zu sein. Einen Lichtblick gab es jedoch auch. Er hatte Faith wieder sehen können. Erst als er sie wieder gesehen hatte, war ihm klar geworden, wie sehr er sie vermisst hatte. Deshalb horchte er gleich auf bei dem Namen des netten Seelenarztes.
«Sie sind der Arzt, der Faith behandelt.» Es war eine Feststellung, keine Frage. «Ich würde sie gerne mitnehmen, wenn ich entlassen werde. In der Natur wird sie sich besser fühlen. Dort sind keine Menschen und sie kann sich frei entfalten. Ich weiß nicht warum, sie sich verloren hat. Doch dort wird sie sich wiederfinden. Nicht für jeden ist das hier richtig», erklärte er. Um den Seelenheiler nicht gegen sich aufzubringen, fügte er noch hinzu: «Dr. sich jeden Tag verstecken zu müssen und im Unterbewusstsein zu wissen, dass man beim kleinsten Fehler von den Seekers oder Menschen getötet wird – wenn nicht sogar noch schlimmer – kann auf Dauer nicht gesund sein. Unser menschlicher Anteil ist genauso klein wie unser tierischer. Es gibt also keinen Grund, die meiste Zeit seines Lebens, in dieser Form zu verbringen. Es gibt so viel unberührtes Land an den Grenzen der Stadt. Man kann monatelang laufen, ohne einen Menschen zu treffen. Manchmal sogar, ohne einen Wandler zu treffen. Es ist kein bequemes Leben. Doch es ist ein friedliches Leben. Ein einfaches…in dem wir im Hier und Jetzt Leben. So etwas sollten sie doch befürworten oder nicht?»
Adam war zugegebenermaßen überrascht so direkt angesprochen zu werden. So brauchte er einen Moment, um zu antworten. «Ich mag ihren Lebensstil. Zudem denke ich auch, dass er heilsam sein kann. Ich möchte jedoch nicht über vertrauliche Gespräche sprechen. Deshalb ist dieses Thema nicht ganz einfach für mich.», erklärte er dem Naturalisten seine Befangenheit.
Zero nickte verstehend. Er respektierte das Vertrauensverhältnis zwischen Faith und ihrem Seelenheiler. Somit zollte er dem Arzt auch ein wenig Respekt dafür, dass er sich an diese Verschwiegenheit hielt. «Keine Sorge. Sie müssen nichts sagen. Hören sie einfach nur mir zu», erklärte er und lächelte leicht. Wenn jemand wusste, wie wichtig es manchmal war, einfach, nur zuzuhören, dann war es sicherlich dieser Mann. «Ich kann spüren, wie der Wolf in ihr darum kämpft zu leben. Ich weiß nicht, was sie so zerrissen hat und das ist auch nicht nötig. Ich kann ihr die Heimat bieten, die ihre Wolfsseele braucht. Bei mir wird sie nicht zerreißen.»
Er atmete tief durch, bevor er weitersprach. Die Worte hatte er sich sorgsam zurechtgelegt. «Sie steht unter meinem Schutz, wenn sie mit möchte. Ich werde nicht von ihrer Seite weichen» mit wachsamen Augen betrachtete er den Heiler und versuchte, seine Reaktion abzuschätzen.
Adam war nicht Faiths Vater oder gar ihr gesetzlicher Vormund. Dennoch hatte er das Gefühl, es würde eine Entscheidung von ihm erwartet werden. Zero war nach der Wandlerrechnung 26 Jahre alt und somit fast zehn Jahre älter als Faith. Diese war sogar noch minderjährig. Einiges stand gegen dieses Vorhaben. Doch stand es ihm wirklich zu sich einzumischen? Wenn er es richtig verstanden hatte, würde Zero nicht nur an ihrer Seite bleiben, sondern eine echte Verbindung mit ihr eingehen. Liebesbeziehungen unter Naturalisten hielten tatsächlich bis zum Tod. Auch sagten sie nie etwas leichtfertig. «Es ist Faith
s Entscheidung. Ich werde mein Bestes geben, sie zu unterstützen und einen Weg zu finden, dass ihre Ziele wahr werden. Danke für die offenen Worte», bedankte er sich bei dem anderen Wandler. Natürlich hatte er immer noch Sorgen. Dieses ließen sich nicht einfach an und ausschalten, das wussten seine Patienten noch besser als er selbst.
Zero lächelte etwas breiter und nickte dem Arzt anerkennend zu. «Ich danke dir fürs Zuhören.» Sobald er sich besser ausgeruht hatte, würde er seinen Geist nach ihr ausstrecken. Dann würden sie reden können. Auf seine Weise …